Dieser Beitrag wurde am 8. November 2017 veröffentlicht und zuletzt am 31. Oktober 2022 von Sascha aktualisiert
Hinweis: Dieser Beitrag soll auf keinen Fall irgendeine Straftat gegenüber Frauen relativieren oder klein reden. Jeder Übergriff auf Frauen (Männern und Kindern) ist einer zu viel und nicht entschuldbar. Ich will auch niemanden Angst klein reden oder ins Lächerliche ziehen, ich will lediglich dazu anregen, in einem ruhigen Moment darüber nachzudenken, wie sicher Laufen in Deutschland eigentlich ist.
Im Blogpost vom 13.11.2016 – So sicher ist das Laufen in Deutschland! habe ich mir die polizeiliche Kriminalstatistik von 2015 mal genauer angeschaut. Anlass war das damals scheinbar gehäufte Auftreten von Gewaltdelikte gegen weibliche Läuferinnen bzw. der konkrete Fall einer jungen Läuferin aus Endingen deren Leiche man bedauerlicherweise ein paar Tage nach ihrem Verschwinden fand.
Dieser und nachfolgende Medienberichte gingen viral, wie man so schön sagt. Sprich, eine handvoll Berichte wurden von den verschiedensten Personen immer und immer wieder in sozialen Netzen geteilt. Gefühl passierte jeden Tag erneut etwas Schlimmes und die Angst unter den weiblichen Läuferinnen wuchs.
Meine Absicht war es damals, der Angst ein wenig die Grundlage zunehmen bzw. zu hinterfragen ob es denn überhaupt einen (rationalen) Grund für die gesteigerte Angst gab. Mir war und ist natürlich klar, dass Angst niemals rational ist.
Ich verlor das Thema ein wenig aus den Augen, die Medien ganz offensichtlich auch, denn die Berichte wurden weniger.
Heute nehme ich mir den PKS2016 vor, diese ist schon seit April 2017 verfügbar.
Hier sind die aktuellen Zahlen im Vergleich zu den vergangenen beiden Jahren.
Delikt | 2016 | 2015 | 2014 | Veränderung gg. Vorjahr absolut | Veränderung gg. Vorjahr prozentual |
---|---|---|---|---|---|
Mord und Totschlag | 2418 | 2.116 | 2.179 | 302 | 14,3 |
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung | 7919 | 7.022 | 7.345 | 897 | 12,8 |
Wie man sieht gibt es eine Steigerung in den beiden „relevanten“ Kategorien „Mord und Totschlag“ und “ Vergewaltigung und sexuelle Nötigung“. Bedauerlicherweise sind also 2016 mehr Menschen Opfer eines solchen Verbrechens geworden.
Wie kamen die Zahlen zustande?
Mord und Totschlag.
In der PKS2016 weist das Bundesministerium des Inneren darauf hin, dass in den Anstieg von 302 Opfern, 72 Fälle der tödlichen Verabreichung von Medikamenten durch EINEN Krankenpfleger in Niedersachsen, sowie die 17 Opfer des Amoklaufes im münchner Olympiazentrum enthalten sind. Da diese Szenarien offenkundig keine sind, in denen Läufer bei der Ausübung ihres Hobby ums Leben kamen, sind die Opfer für „uns“ als Läufer erst mal nicht relevant im Sinne der Angst beim Laufen. Wir können also 89 Opfer (so makaber es klingen mag) erst mal ausklammern. Es bleibt eine Steigerung von 213 Opfern im Vergleich zum Vorjahr. Ich rechne weiter unten dennoch mit der Gesamtzahl der Opfer.
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung.
Im Jahr 2016 wurden 897 Straftaten mehr erfasst als noch im Jahr 2015. Eine Steigerung zum Vorjahr von 12,8%. Die Opfer waren zu weit über 90% weibliche Opfer, davon über 50% Erwachsene ab 21 Jahren. In der PKS wird die Häufigkeit des „Opferwerdens“ gezählt, eine Person kann also durchaus mehrfach gezählt werden. Macht es natürlich nicht besser, erklärt aber den Unterschied zwischen den gezählten Opfern und den erfassten Straftaten in den einzelnen Bereichen.
Die Polizei verzeichnete also einen Anstieg von 14,3 % (Mord und Totschlag) bzw. 12,8 % (Vergewaltigung und sexuelle Nötigung) im vergangenen Jahr. Eine ziemliche Steigerung, hätte ich so nicht erwartet bzw. gehofft.
Jetzt könnte ich hier an dieser Stelle aufhören und wie viele andere in Panik verfallen. Ich stelle aber liebe folgende Frage:
Wie war 2016 das Gesamtverhältnis zwischen Bevölkerung und begangenen Straftaten?
Diese Frage ist, in meinen Augen die relevante Frage wenn es um eine Risikobeurteilung geht. Ein prozentualer Anstieg zum letzten Jahr ist dazu nicht ausreichend.
Zusammenfassung der Zahlen:
Anzahl der Gewaltverbrechen im Jahr 2016 in der BRD: 193.542 (2015: 181.386)
Sucht man nach aktuellen Bevölkerungszahlen der Bundesrepublik Deutschland, bekommt man die Zahl 82,2 Mio für das Jahr 2015. Die Zahlen für 2016 verzögern sich laut DStatis.de.
Bei aktuell 82,2 Mio Einwohnern wurden 193.542 Menschen Opfer eines Gewaltverbrechens (dazu zählen ebenfalls z.B. Raub und Körperverletzungen). Das entspricht gerundeten 0,24 % der Gesamtbevölkerung (sprich Männer, Frauen und Kinder).
Die Zahl derer die entweder ermordet oder vergewaltigt wurden lag im Jahr 2016 bei 10.337, das entspricht gerundeten 0,013% der Gesamtbevölkerung.
Im Vergleich dazu waren es im Jahr 2015 0,22% und 0,011% der Gesamtbevölkerung.
2015 (Stand 2013) | % Anteil zur Gesamtbevölkerung | 2016 (Stand 2015) | % Anteil zur Gesamtbevölkerung | |
---|---|---|---|---|
Gesamtbevölkerung BRD | 81.000.000 | 100 % | 82.200.000 | 100 % |
Anzahl der Gewaltverbrechen gesamt | 181.386 | 0,22 % | 193.542 | 0,24 % |
Anzahl Gewaltverbrechen "Mord und Vergewaltigung" | 9.138 | 0,011 % | 10.337 | 0,013 % |
Und jetzt?
Im Grunde hat sich die Situation in der Nachbetrachtung für 2016 nicht großartig verändert. Statistisch gesehen ist oder war es wahrscheinlicher (wenn auch nur knapp) im Straßenverkehr ( 3206 Tote Stand 2016), durch Alkohol (74.000 Stand 2014 ) oder durchs Rauchen (121.000 Stand 2013) ums Leben zu kommen, als ermordet zu werden.
Die Angst bleibt wohl dennoch, so wirklich begründet ist sie allerdings nicht. Vorsicht sollte man allerdings immer walten lassen, wer sich unwohl fühlt muss nicht zu hause bleiben, sondern sollte sich mal nach Laufgruppen und -partnern umschauen. Die gibt es ja fast überall mittlerweile, falls nicht sind sie schnell gegründet.
Eine weitere Hilfe kann das Heimwegtelefon sein, dort ruft ihr in unangenehmen Situationen an und lasst euch am Telefon hach Hause begleiten. Der Service befindet sich hier in Deutschland noch im Aufbau, ist aber eine tolle Sache!
Lasst euch euren Spaß am Laufen nicht nehmen!
Quelle: PKS Bundeskriminalamt, Berichtsjahr 2016, V2.0
Hey Sascha,
Danke für das Update. Ich kann mir vorstellen, dass die in der PKS erfassten Taten für Sexualdelikte auch deshalb größer geworden sind, weil mehr Opfer diese zur Anzeige bringen. Die Medien machen ja insgesamt auf das Thema aufmerksam, daher könnte die Hemmschwelle sinken. Das würde aber bedeuten, dass besagte Dunkelziffer kleiner geworden wäre.
Was meinst du?
Hi Rob,
ob das so ist weiß ich nicht. Ich könnte mir aber denken, dass die Polizei um mehr Öffentlichkeit für dieses Thema zu schaffen, vermehrt an die Medien geht. Durch die höhere Präsenz in den Medien, könnten Opfer ermutig werden sich dann doch zur Polizei zu trauen und somit mehr Vorfälle zur Anzeige zu bringen. Gewagte These, ich weiß.
Gruß
Sascha
Hey Sascha, ich lese deinen Bericht mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite könnte es erneute Angst schüren, auch wenn du die Angst entkräftigen möchtest -> Danke dafür! Das Thema tot zu schweigen ist auch keine Lösung.
Ich selbst habe häufig Angst in der Dunkelheit, allgemein meide ich das alleine sein Outdoor bei Dunkelheit – nicht nur beim laufen. Für viele Frauen geht diese Angst aber sogar noch weiter und haben Angst alleine bei Tageslicht zu laufen, selbst auf belebten Straßen. Dies ist einer der Gründe warum ich einen Frauenlauftreff gegründet habe. Hier finden sich Frauen mit gleichen Ängsten und Themen zusammen. Der Lauftreff ist kostenlos und bringt mir außer Arbeit (eine schöne Arbeit!) nix ein. Der Lauftreff findet zwar nur 1x pro Woche statt, aber so finden sich Frauen zusammen die sich noch zusätzlich zu anderen Laufterminen verabreden.
Dies ist meine Art mit der Angst und Sorge umzugehen.
Liebe Grüße, Sarah Si
Hallo Sarah,
danke für deinen Kommentar :)
Die Sache mit dem Lauftreff ist ein wunderbare Idee. Das ist genau der Weg, den Frauen (und auch Männer) gehen können wenn sie Angst oder ein ungutes Gefühl dabei haben alleine zu laufen. Neben der (dann doch recht geringen, aber eben vorhandenen) Gefahr Opfer zu werden, kann ja auch immer irgendwas passieren. Wie schnell ist man irgendwo ein paar Kilometer von daheim umgeknickt und erreicht keinen weil man in der Pampa steht und keinen Empfang hat? Bei mir kann das in quasi jeder Senke der Fall sein.
Sich vor Angst förmlich zu verkriechen kann nicht die Option sein.
Gruß
Sascha
Wissenschaftliche Statistik weiß allerdings, dass die Betrachtung einer Gesamtstatistik keinen Rückschluss auf die Entwicklung in ihren Teilbereichen zulässt, noch nicht einmal tendenziell.
Beispiel: Ob es spezifisch im Erzgebirge mehr oder weniger geregnet hat, kann man nicht aus der Gesamtniederschlagsstatistik Deutschlands ablesen.
Ob es spezifisch zu einer Steigerung bei Überfällen auf LäuferInnen gekommen ist oder nicht, darüber hat die hier gemachte Analyse keine Aussagekraft, auch nicht tendenziell.
Hallo Christian,
da gebe ich dir voll und ganz Recht. Zudem betrachte ich mit dieser Statistik ja auch nur einen bereits vergangenen Zeitraum. Ich hoffe allerdings, dass zumindest klar wird, dass es eine große Differenz zwischen der Anzahl der Vorfälle (bzw. deren Erwähnung) in den Medien und der tatsächlich erfassten Vorfälle zu geben scheint.
Gruß
Sascha
Vielen Dank für Deinen Beitrag!
Ich bin wie Du der Meinung, dass jeder Mordfall und jede sexuelle Nötigung ein Fall zu viel ist.
Gleichzeitig muss man sich aber auch immer wieder fragen, wie man (auch als Frau) jetzt handeln soll. Und da fällt mir auf, dass aufgrund der übermäßigen Präsenz dieser Delikte gegenüber anderer Verletzungs- und Todesursachen (z.B. Straßenverkehr) in den (sozialen) Medien teilweise (z.T auch gewollt) eine unangemessene Verunsicherung erzeugt wird. Und als Reaktion auf diese Verunsicherung tendieren viele dazu, bei Dunkelheit nicht mehr zu laufen oder nicht mehr alleine im Wald zu laufen. Dies wiederum verringert an diesen Orten bzw. zu diesen Zeiten die Öffentlichkeit. Und bekanntlicherweise wird ja gerade für Sexualdelikte von den Tätern die Öffentlichkeit gemieden, d.h. weitere zufällig vorbeikommende Personen können häufig durch ihre schiere Präsenz Taten unterbinden.
Ich denke daher, dass es sehr wichtig ist, auch den gesunden Menschenverstand und auch etwas vergleichende Statistik anzuwenden … schließlich gibt es kaum jemanden, der nicht mehr in ein Auto steigt, weil er/sie Angst vor einem Verkehrsunfall hat.
Guter Punkt! Wenn weniger Menschen auf der Straße sind, sind potentielle Täter unbeobachtet. Allerdings hört man ja auch immer wieder von Vorfällen am helllichten Tag und unter Menschen…
Einschüchtern lassen sollte sich aber wirklich niemand. So blöd es klingt, aber auf deutschen Straßen kann man sich noch recht sicher bewegen und muss keine Angst haben aus einem auto heraus erschossen oder an jeder (falschen) Ecke ausgeraubt zu werden.
Vorsicht ist aber immer geboten.
Sehr guter Beitrag. Danke dafür. Wenn Du jetzt noch die Zahlen dahingehend bereinigst, dass die Vorkommnisse in am 1. Januar 2016 wohl hoffenltich einmalig bleiben aber zahlenmäßig einen großen Einflussss auf die Statstik haben, dann ist die Zahl der Vergewaltigungs/sexuelle Nötigungsdelikte wohl eher stabil geblieben. (so traurig es auch immer noch ist). Allerdings ist die staistische Wahrscheinlichkeit wie von Dir bereits angeführt eher sehr gering. Wir leben in einem sehr sicheren Land. Meine Freundin ist Brasilianerein. Dort haben die wahrscheinlich in einer einzigen Stadt im Monat mehr Fälle als wir in Deutschland im ganzen Jahr. Ein Umstand den ich sehr zu schätzen weiß.
Hallo Ralph,
ich habe ja am Anfang des Beitrages auf solche gehäuften Vorkommnisse hingewiesen. Natürlich könnte ich die Zahlen entsprechend runterrechnen, ich habe aber bewusst möglichst hohe Zahlen verwendet um aufzuzeigen, dass selbst im Worst Case die Wahrscheinlichkeit Opfer zu werden verschwindend gering ist.
In anderen Ländern geht es deutlich schlimmer zu, stimmt. Allerdings macht es unsere Zahlen nicht besser, wenn andere Zahlen höher sind.
Danke generell für den Beitrag und den Versuch einer Analyse. Interessant (aber ggf. schwer zu recherchieren?) wäre aber natürlich in „unserem“ Zusammenhang das Umfeld / die Situation, in dem/der die erfaßte Tat erfolgte und wie Täter und Opfer zueinander standen. Also Zufall und/oder fremd, bzw. Familien-/Freundes-/Arbeitsumfeld? Auch ohne konkrete Zahlen belegen zu können habe ich eine klare Vorstellung dazu ;-)
Hallo Sabine,
zumindest die PKS gibt diese Zahlen nicht her. Ob es dazu Forschungen gibt, weiß ich nicht. Im Endeffekt würde die Unterteilung in „Beim Laufen“ und „in der Familie“ doch auch nur die Zahlen noch geringer werden lassen.
Gruß
Sascha